Erziehung & Bildung Vorträge

Das Leben als Bahnfahrt

Liebe Schülerinnen und Schüler,

ihr habt einen wichtigen Lebensabschnitt abgeschlossen und dazu möchte ich euch als erstes gratulieren. Herzlichen Glückwunsch! Ihr steht aber nun nach einer wichtigen Teilstrecke quasi wieder am Bahnhof und fragt euch vielleicht, welchen Zug ihr nehmen sollt. Welches Ziel ist richtig und wichtig? Was könnte lohnend sein? Was will ich überhaupt?

Es gibt drei Dinge im Leben, die gut überlegt sein müssen: Das ist die Zeit, die wir zur Verfügung haben und die wir gut nutzen müssen, das sind die Menschen, mit denen wir uns umgeben, und das sind unsere Handlungen, also das, was wir tatsächlich tun oder nicht tun. Der berühmte russische Schriftsteller Tolstoi beschreibt diese wichtigen Entscheidungen, die wir immer wieder treffen müssen, so:

Es dachte einmal ein König, nichts könne in seinem Leben schiefgehen, wenn er nur immer die Zeit wüsste, wann er etwas tun soll, wenn er immer wüsste, mit welchen Menschen er sich einlassen solle und mit welchen nicht, und wenn er immer wüsste, welcher von all seinen Plänen der wichtigste sei.

Der König hörte viele Vorschläge von vielen Beratern, aber kein einziger gefiel ihm. So entschloss er sich, einen Einsiedler zu befragen, der als sehr weise galt. Und dieser sagte:

„Merke dir – die wichtigste Zeit ist nur eine: der Augenblick. Nur über ihn haben wir Gewalt.“ Das heißt, nur über den Augenblick können wir bestimmen. Wir können die Vergangenheit nicht ändern, und wir können die Zukunft nicht wirklich durchplanen. Aber wir können hier und jetzt entscheiden, welches Ziel wir anstreben, welche Freunde wir schätzen und was wir tatsächlich als nächstes tun.

Schon Platon, der große Philosoph, der vor 2500 Jahren lebte, dachte über dieses Lebensproblem nach und schrieb:

„Die Menschen sorgen sich um die Zukunft und vergessen darüber die Gegenwart. Daher erleben sie weder Gegenwart noch Zukunft. Sie leben so, als ob sie nie sterben würden. Aber sie sterben, als ob sie nie gelebt hätten.“

Daraufhin stellte man ihm eine folgende Frage: „Nun, was würden Sie denn vorschlagen?“ Platon entgegnete:

„Bemühe dich bei niemandem um Zuneigung. Es ist unmöglich, von allen akzeptiert zu werden. Tue, was du für richtig und gut hältst. Menschen, die dies schätzen, werden dich sowieso mögen. Auf diese Weise wirst du die besseren und vernünftigeren Menschen treffen.“

Auch der Prophet Muhammad spricht von den Etappen des Lebens und den wichtigen Entscheidungen, die zu treffen sind. Er sagt: „Sei in der Welt ein Reisender, der einen Weg zurücklegt“. Und an anderer Stelle: „Ich gleiche einem Reisenden, der unter einem Baum Schatten gefunden hat und dann weiterreist.“

Ihr, liebe Schülerinnen und Schüler, seid auch gerade an diesem Schattenplatz und ihr könnt euch für einen Moment verdient ausruhen.

Aber unser Leben ist kurz und unsere Reise ist lang. Und es ist keine durchgeplante All-Inclusive-Ferienreise, sondern eher eine mühsame Bergtour. Ihr müsst selbst planen; Vorräte mitnehmen und vor allem Begleiter haben, denen ihr vertrauen könnt. Und ihr müsst wissen, was ihr selbst wirklich schaffen könnt, und dürft euch nicht überfordern. Ehrgeizige Ziele sind gut, aber man darf selbst nicht auf der Strecke bleiben.

Liebe Schülerinnen und Schüler, ich wünsche euch, dass ihr in nächster Zukunft die richtigen Entscheidungen trefft, also den richtigen Zielbahnhof wählt, dass ihr die nötigen Vorräte mitnehmt und vor allem dass ihr die richtigen Begleiter und Freunde findet, die euch unterstützen und die euch wiederaufbauen, wenn ihr in Schwierigkeiten geratet oder euch überfordert fühlt.

Ich wünsche euch, dass ihr einen Beruf findet, der euch wirklich Freude macht, und viele Menschen – ob Freunde oder Familie – die euch wirklich nahestehen. Das ist die Basis für ein erfülltes Leben.

Noch einmal herzlichen Glückwunsch, dass Ihr nach einer langen Reise diese Bahnhofsstation erreicht habt! Ich wünsche euch alles, alles Gute für die Weiterreise!

Muhammet Mertek

PS: Dieser Vortrag wurde von mir am 29.06.2018 in der Thomaskirche in Hamm anlässlich der Abschlussfeier der 10. Klasse der Friedrich-Ebert-Realschule gehalten.

Letzte Aktualisierung: 30. Juni 2018
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