Gesellschaft

Karlovy Vary, Stasi-Bunker, Sorge…

Wir folgen Goethes Spuren nach Karlsbad (Tschechien) – eine weltbekannte Heilwasserstadt, die viele berühmte Persönlichkeiten wegen der ausgezeichneten Kurmöglichkeiten besuchten. Es ist eine wunderschöne Stadt, in der sich die mit Sorgfalt gehegten zwei- bis dreihundertjährigen, historischen Bauten entlang eines Flusses schlängeln, so dass sich die Ästhetik der Architektur mit der einzigartigen Schönheit der Natur aufs schönste verbindet. Ein Tourismusparadies mitten in Wäldern mit verschiedener Tönung von Grün!

 

 

Auffällig ist das kleine Keramikglas in den Händen vieler Menschen, die damit das Heilwasser auffangen, das an vielen Stellen in der Stadt aus Brunnen hervorsprudelt. Dies ist ein interessantes Bild! Die Gläser sind in unterschiedlichsten Formen und Farben zu finden und fassen 200 ml. Das 30 bis 65 Grad warme Heilwasser wird schluckweise getrunken und soll den Verdauungskreislauf schonend beeinflussen.

 

 

Die Geschichte des Heilwassers ist bis auf das Jahr 1370 zurückzuführen. Der Legende nach entdeckte Karl der Erste das Thermalwasser, als sein Hund hineingefallen war. Daher stammt der Name Karlsbad, heute Tschechisch: Karlovy Vary.

 

  

 

Einstweilen besuchten viele weltberühmten Persönlichkeiten diese Stadt: Karl Marx, Sigmund Freud, Richard Wagner, Ludwig van Beethoven, Sebastian Bach, Mozart, Kemal Atatürk, Ivan Petrovic Pavlov, 1. Karl Otto, Friedrich Schiller, Johann Wolfgang von Goethe, Vaclav Havel, Milos Forman und viele andere …

Natürlich lenkte ich meineAufmerksamkeit auf Kemal Atatürk. Auf der vorderen Mauer des Fünfsternehotels Carlsbad Plaza sind zwei Namen zu sehen: Sigmund Freud und Kemal Atatürk. Atatürk verbrachte im Juli 2018 fast einen Monat hier. Nach einem Buch, das das Hotel über die berühmten Besucher der Stadt herausgegeben hat, berichteten damals zwei lokale Zeitungen über seine Ankunft und seinen Aufenthalt. Gegen Ende des ersten Weltkrieges soll er Deutschland besucht haben und schließlich aus gesundheitlichen Gründen Karlsbad besucht haben.

Aus dem Buch erfahren wir die folgenden Informationen:

 

Stützerbach: Erstaunliche Zeitzeugen mitten im Thüringer Wald

Stützerbach befindet sich in den Wäldern von Thüringen. Wenn man zum ersten Mal hierher kommt, kann die Frage aufkommen, was man hier eigentlich verloren hat. So reagierten wir erst einmal mit Enttäuschung und konfrontierten den Pensionsbetreiber mit Stornierungsabsichten. Dieser konnte uns aber durch das Aufzählen vieler möglicher Sehenswürdigkeiten überzeugen. So gaben wir der Gegend eine Chance und erfuhren, dass es hier in einem Radius von 50 km über 50 Sehenswürdigkeiten gibt. Selbst Goethe besuchte dieses Dorf 13 Mal. Das Gasthaus, wo Goethe auch wohnte, dient jetzt als Museum.

 

 

Warum sollte Goethe so oft in solch ein Dorf gekommen sein? Es wird verständlich, wenn wir wissen, dass hier seinerzeit Glas und Papier hergestellt wurden. Das erste Thermometer und die erste Glühbirne wurden ebenfalls hier produziert. Selbst der Wissenschaftler Conrad Röntgen entwickelte 1896 durch die hiesige Technologie die erste Röntgenröhre. Man kann all diese Entwicklungen anhand vieler Gegenstände aus der damaligen Zeit im Heimatmuseum verfolgen.

Damals arbeitete jeder zweite Dorfbewohner in diesen Bereichen. Auf einer Landkarte an der Wand wird ersichtlich, dass 1975 von hier aus Glasprodukte in über 40 Länder exportiert wurden. Jetzt wird es weltweit durch die Firma Innovativ Laboratuary Systems, die auch dort ansässig ist, exportiert.

 

 

Der Pensionsbetreiber hatte Recht: viele weitere Überraschungen, die man in den Wäldern, wo auch Goethe wanderte, entdecken konnte, warteten auf uns.

Sehnsucht nach Sozialismus?

Wenn man sich mit Einheimischen in Weimar und Stützerbach unterhält, spürt man sofort ein bisschen Sehnsucht nach dem alten System. Eine typische Sehnsucht nach Sozialismus.

Dahinter steckt anscheinend, dass man sich nicht von seinen Gewohnheiten trennen oder sich nicht an den neuen, noch freiheitlichen Lebensstil gewöhnen konnte.

„Alles war geregelt. Wenn man die Politiker nicht kritisiert, gab es kein Problem. Was kriegt man denn dafür, wenn man es tut.“ So erläuterte der Pensionsinhaber in Stützerbach seine Sehnsucht. Auf meine Frage „Warum wollten denn dann so viele Menschen sogar unter Todesgefahr aus dem Land fliehen?“ entgegnete er: „Sie alle haben bestimmt eine Straftat begangen. Sie versuchten dann, sich zu retten.“ Insgesamt wurden etwa 140 Menschen bei der Flucht über die Berliner Mauer erschossen. Ihm zufolge waren sie alle Straftäter. Die Meinungs- und Pressefreiheit, Eigentumsrecht oder Reisefreiheit seien auch nicht so wichtig. Im Tausch gegen diese Freiheiten bevorzugte er, was Vater Staat für den Lebenserhalt vorsah: Eine Arbeit, mit der man seinen kargen Lebensunterhalt leisten kann, ein Auto wie etwa der Lada und ein Häuschen… Das war es. Und vielleicht für jeden warmes Wasser in bestimmten Zeiten in der Woche und einigermaßen ausgebaute Verkehrsmöglichkeiten…

Aber damals hatte er keine Ahnung vom Stasi-Bunker mit modernsten Abhörgeräten in den Wäldern in nur 15 km Entfernung. Diesen Bunker haben wir besichtigt. In der DDR gab es über Tausend Wasserwirtschaftsanlagen in den Wäldern. Getarnt mit einer solchen Anlage hat die Stasi 1975 diesen extrem geheimen und damals modernsten Bunker gebaut und bis 1989 benutzt. Insgesamt wurden 17 solcher gruseligen Bunker in der DDR gebaut, also für jeden Bezirk einen Bunker, für Berlin zwei. Auch für den Schutz vor einem möglichen Atomkrieg wurden einige Maßnahmen getroffen: Der Hauptgang konnte erst nach drei Stationen betreten werden, wenn man ganz frei von giftigen oder radioaktiven Substanzen war. Man konnte immer noch viele über 30 Jahre alte Konservendosen sehen. Der Besuch war grauenhaft: Ich konnte mich nicht gegen die Vorstellung wehren, dass die Stasi hier mit ihren modernsten Kommunikationsmitteln und Abhörgeräten viele Menschenleben ausgelöscht hat. Von dieser Vorstellung bekam ich eine Gänsehaut. Letztendlich ging es weniger um die Staatssicherheit als um die eigene Sicherheit. Denn etwa 130 hochrangige Stasi-Mitarbeiter (ohne ihre Familienangehörigen!) konnten im Ernstfall eines Nuklearkrieges im Bunker Platz finden, wo normalerweise ca. 10 Stasi-Mitarbeiter tätig waren.

 

   

 

Wer ist denn das Idol der Stasi, die weltweit einen Namen machte? Dr. Richard Sorge. Seine Büste steht auf dem Tisch im Sitzungssaal. Er wurde 1895 als Sohn eines deutschen Vaters und einer russischen Mutter in Aserbaidschan geboren. Freiwillig nimmt er am ersten Weltkrieg teil. Mit einem Bombensplitter wird er schwer verletzt und beide Beinewerden gebrochen (1916). Während seiner Behandlung liest er die Werke von Marx und Engels. Während seines Militärdienstes fängt er mit dem Studium in Ökonomie und Philosophie an. In Hamburg promoviert er im Fach Ökonomie (1919). Eine Zeitlang arbeitet er in der Redaktion einer lokalen Zeitung. Im Jahr 1924 reist er nach Moskau. Dort verstärkt er seine Beziehung zum sowjetischen Geheimdienst. Als deutscher Journalist getarnt spioniert er ab 1929 für den sowjetischen Geheimdienst in China. Da lernt er den japanischen Journalisten Ozaki Hotsumi kennen, mit dem er später zusammenarbeitet. Er kommt wieder nach Deutschland zurück, mit dem Auftrag, als deutscher Journalist nach Japan zu gelangen und für den sowjetischen Geheimdienst zu berichten. In den folgenden Jahren stellt er dank Hotsumi und seiner journalistischen Tätigkeit Kontakte mit den hochrangigen Regierungskreisen her und lernt sogar den japanischen Premier kennen. Gleichzeitig arbeitet er in der deutschen Botschaft und berichtet auch an den deutschen Nachrichtendienst.

 

 

Der Top-Agent Sorge ist bekannt für die Übermittlung von Informationen, die den Verlauf eines Krieges hätten ändern können. Er warnt vor dem Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion den sowjetischen Geheimdienst mit genauen Informationen, was von Stalin jedoch als Fehlinformation ignoriert wird. Als die Wehrmacht 25 km vor Moskau war, übermittelt Sorge die Information, dass Japan die Sowjetunion nicht angreifen würde. Daraufhin zieht die sowjetische Armeeführung ihre Truppen aus Sibirien ab und stoppt die Wehrmacht vor Moskau. Sorge übersendet zahlreiche Mikrofilme nach Moskau und 141 Funksprüche. Er und Hotsumi werden schließlich durch die japanische Geheimpolizei enttarnt, im Jahr 1941 verhaftet und 1944 gehängt.

Die Stasi-Mitarbeiter, die Sorge als Vorbild nahmen, wurden bald zu einer Bande der Tyrannei. Der Stasi-Bunker, der zu einem Ort der böswilligen Planungen gegen die eigene Bevölkerung wurde, wurde nicht nur vor Auslandsmächten, sondern auch vor der eigenen Bevölkerung geheim gehalten. Der Bunker, der aus einem Betonblock mit vielen kleinen Räumen gebaut wurde, wurde 1989 kurz vor der Vereinigung mit Westdeutschland von der Bevölkerung geplündert.

Auch der Museumsführer zeigte eine gewisse Sehnsucht nach dem alten System: „In der DDR-Zeit gab es jede halbe Stunde einen Bus aus dem Dorf in die Stadt. Es gab oft Züge. Man brauchte kein Auto, keinen Führerschein. Jetzt fährt nur noch am Wochenende ein Bus in die Stadt. Ich musste daher ein Motorrad kaufen. Früher war das Verkehrssystem besser“, sagte er. Was meinte er damit? Ist alles andere egal, was in der DDR-Zeit passierte? Kein Rechtsstaat, keine Gerechtigkeit, keine Freiheit, Tyrannei in vollem Gange… Das zeigt aber auch, dass den Menschen die alltägliche Versorgung oft wichtiger ist als ideologische Fragen. Dass es wichtig ist, die ökonomische und soziale Situation der Menschen im Blick zu haben und sie nicht zu übersehen.

Die Stasi war eine der weltweit bekannten Geheimdienstorganisationen, die so vielen Menschen Leid angetan hat, gefoltert und menschenverachtend gehandelt hat. Wenn man die Menschenrechte außer Kraft setzt und die Gerechtigkeit von einer einzigen Partei abhängig macht, ist die Gefahr groß, dass das Land in Finsternis verfällt.

Denn Regime, die von Faschismus und Autokratie geprägt sind, kommen zunächst mit Wiegenliedern an die Macht, sie lullen die Menschen ein – und dann ruinieren sie das Land und quälen seine Bevölkerung. Ich frage mich: Wie geht das, dass Menschen einem solchen System anhängen? Und sogar nostalgisch verklärte Erinnerungen hegen, die alle Gräueltaten vergessen lassen?

Ich weiß, es wirkt vielleicht ein bisschen irritierend, dass ich mit den Spuren Goethes und seinen außergewöhnlichen Freundschaften mit Schiller und Hafis beginne und bei der DDR-Diktatur ende, so, wie unsere Reise uns über die Kunst, Kultur, Literatur, Ästhetik des 17. Und 18. Jahrhunderts in die Stasi-Bunker geführt hat… Aber hat dieser Reiseverlauf nicht auch etwas Symbolisches? Er vergegenwärtigt uns die Kernfrage: quo vadis? In Richtung der freiheitsfeindlichen Stasi-Bunker? Oder in die freie Welt von Goethe und Schiller, die von Wissen, Kultur und Ästhetik geprägt war? Wir tun gut daran, uns diese beiden Möglichkeiten immer wieder vor Augen zu führen.

Muhammet Mertek
Fotos: ©MMertek

Letzte Aktualisierung: 17. September 2018
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